2. Kohr-Stammtisch

kohrlogo225Freitag, 28. März 2014, 20:00 Uhr beim Wirt z‘ Göming
Hellbauerhaus, Grünbrücke 1, 5114 Göming,
Tel: 06272-20697

Das Thema des 2. Kohr-Stammtisches:
Die Stadt der Plätze
Herzlich eingeladen, wenn Ihnen die Lebensräumen ihrer Stadt am Herzen liegen.

problemederstadt95
Probleme der Stadt, übersetzt von Andreas Wirthensohn 164 Seiten,  € 20,- ISBN 978-3-7013-1154-5

 

Aus dem Buch: „Problem der Stadt“
Die Stadt der Plätze:Psychologie der Eigenständigkeit. Die Anziehungskraft des Supermarkts. Altmodische Marktplätze als Magnet. Das Getränkekistenmuster der urbanen Struktur. Industrieghettos. Prunkvolle Fabriken. Tod durch urbane Strangulierung. Gesellige Dezentralisierung. Eine Föderation von Plätzen.

Ein Hauptziel unserer Modellstadtplaner ist es, die Gegenden, die saniert werden sollen, mit einem gewissen Maß an Eigenständigkeit auszustatten. Als leidenschaftlicher Befürworter der Eigenständigkeit kleiner Gemeinwesen könnte ich mir kein besseres Ziel vorstellen.
Betrachtet man jedoch das in der Vergangenheit Erreichte, besteht wenig Grund zu der Annahme, daß die dabei anvisierte Form von Eigenständigkeit auch nur irgendein Problem löst.
Ein Gemeinwesen ist nicht nur dann eigenständig, wenn niemand sich in andere Gegenden begeben muß, um seinen täglichen Aktivitäten nachzugehen, sondern auch wenn niemand sich dorthin begeben will. Das ist zur Hälfte keine Frage der Ökonomie, sondern der Psychologie. Deshalb wird eine Fülle an kleinen Läden um die Ecke die Anziehungskraft des weiter entfernten Supermarkts nicht verringern, solange letzterer etwas zu bieten hat, was eine Ansammlung keiner Läden nicht bieten kann: die Möglichkeit, wie in einer Buchhandlung in einer reichhaltigen Auswahl zu stöbern, was einem das befriedigende Gefühl von Überfluß verschafft, selbst wenn man nichts kauft.
Genau das hatte der alte Marktplatz zu bieten, der nicht das gleiche ist wie eine Plaza (die Nestor Avecedo als das Wohnzimmer eines Gemeinwesens definiert). Eine der Antworten auf das Problem lokaler Eigenständigkeit ist deshalb die Schaffung von Marktplätzen, die, wollen sie der Anziehungskraft von Supermärkten entgegenwirken, so zahlreich sein müssen, daß die große Mehrheit der Bevölkerung alles bekommt, was sie haben will, ohne sich zu weit von ihrem Zuhause entfernen zu müssen. Denn sobald die Menschen mehr als eine minimale Entfernung zurücklegen müssen, werden sie das Auto benutzen, und sobald sie das Auto benutzen, werden sie das Gefühl haben, daß es umso ökonomischer ist, je langer und nicht je kürzer sie damit unterwegs sind. Also können sie genausogut in den Supermarkt gehen. (Das soll nicht heißen, daß nicht der gelegentliche Besuch im Supermarkt durchaus von Wert ist, sowenig der Charme lokaler Musikgruppen über die Vorzüge eines großstädtischen Symphonieorchesters hinwegtäuscht oder die kleine Pfarrkirche über den Glanz der Kathedrale.)
Die Eigenständigkeit kleiner Lokalitäten innerhalb des Kontexts einer Metropole hängt deshalb in erster Linie davon ab, daß es wie bei einer Getränkekiste viele identische Marktplätze gibt, die einen ansonsten lawinenartigen Verkehrsstrom verteilen, und nicht ein Kanalsystem von Straßen, die an einem einzigen geselligen oder zum Einkaufen gedachten Platz konvergieren. Das hat Salzburg, Lucca,
Cambridge oder das alte San Juan zu so lebendigen, liebens- und lebenswerten Städten gemacht: daß sie als „Föderation“ von Plätzen und Märkten gewachsen sind, die durch Straßen miteinander verbunden sind, und nicht als Verbund von Straßen, die in Plätzen nichts anderes sehen als entweder Parkplätze oder Verkehrshindernisse (und dabei nicht erkennen, daß das Verkehrhindernis die Grundlage des Handels darstellt).
Wichtigste Voraussetzung für Eigenständigkeit ist jedoch nicht nur, daß man alles vor Ort kaufen kann oder daß Schulen, Kirchen, Kinos und Gasthäuser in der Nähe sind, sondern auch daß der überwiegende Teil des Einkommens in der unmittelbaren Nachbarschaft verdient wird. Für Ladenbesitzer ist das kein Problem, denn sie können dort wohnen, wo sie arbeiten. Schon eher ein Problem ist das für Arbeiter, ob nun Handwerker oder Facharbeiter. Und da die Bevölkerung einer Stadt in der Mehrzahl nun einmal nicht aus Ladenbesitzern besteht, sondern aus Arbeitern, machen es die Regeln für die Eigenständigkeit kleiner Areale erforderlich, daß die Industrien, die diese Menschen beschäftigen, nicht, wie das heute der Fall ist, in dicht bebauten, unbewohnten Fabrikghettos abgesondert sein dürfen, die auf unökonomische Weise tagsüber übermäßig genutzt werden und nachts völlig verlassen sind; sie müssen vielmehr wieder inmitten ihrer jeweiligen Belegschaft zu finden sein.
Das sollte nicht allzu schwer sein, wenn man bedenkt, daß die Moderne Architektur genauso gut in der Lage ist, Fabriken in elegante Stadtstrukturen einzufügen, wie sie diese in Reihen von prunkvollen Gebäuden entlang von Schnellstraßen unterbringt, die die Transportkosten mit arithmetisch zunehmender Entfernung von der Stadt geometrisch anwachsen lassen. Sobald die industrielle Umgebung in der Stadt so attraktiv geworden ist wie das geschäftliche und gesellige Umfeld von Plätzen und Märkten, werden nicht nur die Arbeiter lieber vor Ort bleiben und ihren Vergnügungen in unmittelbarer Umgebung nachgehen, sondern auch Bankiers, Lehrer, Ärzte, Schauspieler und all die anderen Beförderer des guten Lebens.
Nur dann wird es für kleine Kommunen angesichts der amorphen Ausdehnung einer modernen Metropole möglich sein, die einzige Art von Eigenständigkeit zu entwickeln, die den Tod durch Ersticken im städtischen Verkehr verhindern kann. Das ist die gesellige Eigenständigkeit ihrer Viertel und Bezirke; sie erreicht man, indem man dafür sorgt, daß die Bewohner ihre Arbeit und ihr Vergnügen nicht nur nicht anderswo suchen müssen, sondern das auch gar nicht wollen.

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